Verkaufsplattformen auf dem kartellrechtlichen Prüfstand – Kommission leitet Ermittlungen gegen Amazon ein

Nach aktuellen Presseberichten hat die Europäische Kommission offenbar Ermittlungen gegen Amazon eingeleitet. Das Unterneh­men ist bekanntlich gleichzeitig als Verkaufsplattform und als Händler tätig. In seiner Funktion als Plattform kann Amazon eine Vielzahl und ein erhebliches Volumen „interessanter“ Daten sammeln. Dies versetzt das Unternehmen unter Umständen in die Lage, einen wettbe­werblichen Vorteil zu erlangen und damit ggf. andere (insbe­sondere kleinere) Händler zu verdrängen. Erst kürzlich soll die Brüsseler Behörde einen Fragebogen an verschiedene Händler übermittelt haben, um den Sachverhalt näher aufzuklären.

Das Europäische Verfahren könnte durchaus exemplarischen Charakter für den künftigen Umgang mit einer Vielzahl von Verkaufsplattformen (eBay, Zalando usw.), ggf. aber auch für Vermittlungsplattformen (RBNB, Booking etc.), haben.

Hintergrund

Die besondere Rolle von Amazon (oder anderer zentraler Platt­formen) ist schon länger in der kartellrechtlichen Diskussion. Auch die Vielzahl der von den Plattformen gewonnenen Daten geraten zunehmend in den Fokus der Kartellwächter. Vertreter des Bun­des­kartellamts (BKartA) hatten noch Mitte dieses Jahres ange­kündigt, solch „hybride“ Plattformen wie Amazon näher unter­suchen zu wollen. Nun scheint jedoch die Kommission das Thema zu besetzen.

Laut MLex hat die Brüsseler Behörde am vergangenen Dienstag (18. September) einen 16 Seiten starken Fragebogen versandt. Dieser erkundigt sich bei Händlern offenbar nach den Details der Vertriebsbeziehung mit Amazon, der Relevanz von Daten und danach wie sich Situationen dargestellt haben, in denen Amazon dasselbe Produkt (oder vergleichbare Produkte) auch selbst zu vertreiben begann.

Aktuelle Studie zeigt erste Lösungsansätze

Eine aktuelle, vom BMWi Ende August vorgelegte Studie befasst sich ebenfalls mit der Rolle von Plattformen (oder sog. „Inter­me­diären“), siehe hier. Hier wurde u.a. vorgeschlagen, das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) um eine neue, eigene Form der Marktmacht zu ergänzen, die sog. Inter­me­diationsmacht. Damit soll sichergestellt werden, dass Gerichte und Behörden das Verhalten solcher Plattformen adäquat adressieren können.

Ranking von Angeboten

Die Studie beschäftigt sich auch mit der Bedeutung von Plattfor­men beim „Ranking“ von Angeboten. Das Thema wird freilich vielen (kleinen und großen) Anbietern auf Plattformen bekannt und u.U. ein „Dorn im Auge“ sein. Freilich ist die Situation aber auch für den Plattformanbieter nicht einfach: Erst mit erheblichem Aufwand (Werbung, Infrastruktur etc.) schafft er die Möglichkeit, dass Händler die Plattform sinnvoll nutzen können, um ihre Kunden (typischerweise Verbraucher) zu erreichen. Ist es da verwerflich, diesen Vorteil zu nutzen, und wenn ja, ab wann und in welcher Form?

In der Studie heißt es u.a.:

Im Extremfall erlangt eine Plattform die vollständige Kontrolle über den Marktzugang von Anbietern. Aber auch deutlich unterhalb dieser Schwelle kann … ein so erheblicher Teil des Umsatzes von einem „fairen“ Matchmaking durch den Informationsintermediär abhängen, dass längerfristige Benachteiligungen zu einer nachhaltigen Infragestellung der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit von Produkt-…anbietern führen. […] Insbesondere bei vertikaler Integration … einer Plattform können sich ferner Anreize für eine Priorisierung eigener … Angebote ergeben. Trifft die beschriebene Anreizstruktur mit einer besonderen Angewiesenheit der Anbieter von Waren … auf den Zugang zu Nachfragern und nur schwacher wettbewerblichen Kontrolle der tatsächlichen Präferenzgerechtigkeit des Matchmaking durch die andere Marktseite (insbesondere Verbraucher) zusammen, so kann sich eine missbrauchsanfällige Machtposition ergeben.“ (S. 66 f. der Studie)

Bedeutet dies nun, dass besonders mächtige Verkaufsplattformen (in ihrer Funktion als Händler) ihre Warenangebote künftig unabhängig von dem „Wissensschatz“ kalkulieren müssen, den sie in ihrer Funktion als Plattform erworben haben? Oder gilt dies nur, wenn der Plattformanbieter die gewonnenen Daten nicht (auch) Dritten zu bestimmten Bedingungen zugänglich macht? Genau solche Frage werden die Brüsseler Kartellwächter zu beantworten haben.

Exkurs: Gewisse Parallele zum Dual-Vertrieb

Es drängt sich der Vergleich zum Dual-Vertrieb auf, d.h. wenn Herstel­ler ein Produkt sowohl selbst als auch über Händler vertrei­ben. In dieser Konstellation wäre eine (uneingeschränkte) Ver­wen­dung von Daten (insb. von Preisinformationen) durch den Hersteller über beide Vertriebskanäle hinweg häufig kritisch. Es besteht die Gefahr eines überschießenden Informations­austauschs. Denn der Hersteller wird zum Wettbe­werber der eigenen Händler. Da das deutsche und europäische Kartellrecht auch den sog. Intrabrand-Wettbewerb schützen, wäre bspw. ein Austausch zwischen Händlern über strategisch relevante Infor­mationen (etwa über geplante Rabattzeiträume) selbstverständ­lich unzulässig. Unter­neh­men behel­fen sich bspw. dadurch, dass sie sog. „Chinese Walls“ einführen. Diese sind aber freilich nur eine „Krücke“. Wo hier genau die Grenze des kartellrechtlich Zulässigen verläuft, ist (soweit ersichtlich) noch von keiner Kartellbehörde in Deutschland oder Europa entschieden worden.

Ansprüche auf Datenzugang

Dass mit der Zugriffsmöglichkeit auf große Datenmengen auch eine neue Form der „Macht“ korrespondiert, zeigt die speziell kartellrechtliche Relevanz der Thematik. „Daten“ standen auch bei dem im Jahre 2016 gegen Facebook eingeleiteten Verfahren des BKartA im Vordergrund, siehe hier. Wenn Daten das „Öl des 21. Jahrhunderts“ sind, ist freilich entscheidend, wer Zugriff erhält und wie (anspruchsvoll) diese Zugriffsmöglichkeit gestaltet ist.

Laut der Studie hat der deutsche Gesetzgeber bereits angemes­sen reagiert: § 18 Absatz 3a GWB nennt den Zugang zu wettbe­werbsrelevanten Daten ausdrücklich als ein bei der Ermitt­lung von Marktmacht zu berücksichtigendes Kriterium. Zudem könne die missbräuchliche Verweigerung des Datenzu­gangs bereits jetzt vom allgemeinen Miss­brauchs­tatbestand (§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr.  1 GWB) erfasst werden. Die Studie schlägt ergänzend aber vor, etwaige Wettbewerbsvorteile besonders datenreicher Unternehmen ggf. dadurch zu neutralisieren, dass diesen eine “Daten-Sharing-Pflicht“ auferlegt wird.

Plattformgerechtigkeit als Europäisches Thema

Es ist zu begrüßen, dass sich die Kommission der Thematik an­nimmt. Andere kartellrechtliche Fragen rund um den Internethan­del ha­ben gezeigt, dass unterschiedliche nationale Ansätze bei sol­ch wichtigen, mitgliedstaatsübergreifenden Themen einer zentralen Lösung bedürfen. Man denke nur an die Frage der Zulässigkeit sogenannter Plattform­verbote durch Marken­artikelhersteller oder Anbieter von Luxuswaren. Dürfen diese ihren Händlern verbieten, Waren über Amazon, eBay usw. zu vertreiben? Bekannt­lich hat das BKartA hier eine härtere Position eingenom­men als die europäische Kommission oder andere nationale Kartellbehörden: Die Bonner Behörde hielt solche Verbote für weitgehend unzulässig. Auch nachdem sich der EuGH zu der Thematik geäußert hat (EuGH, Rs. C-230/16, Urt. v. 6.12.2017 – Coty/Parfümerie Akzente), verbleiben jedoch noch erhebliche Rechtsunsicherheiten; Sichtwort: Was ist ein Luxusgut?

Die Problematik unterschiedlicher Durchsetzungsniveaus ist seit Langem bekannt. Bekanntlich vertritt die niederländische Wettbewerbsbehörde einen deutlich liberaleren Ansatz als bspw. das BKartA oder die britische Wettbewerbsbehörde.

Vielleicht bietet das aktuelle Verfahren – gepaart mit den vielfältigen weiteren Fragen rund um den Internetvertrieb – einen Anlass, die Vertikalleitlinien der Kommission mittelfristig zu überarbeiten oder gar eigene Leitlinien zum Thema Onlinehandel, Digitalisierung und Plattformen herauszugeben.

Autorin: assoziierte Expertin Dr. Daisy Walzel, LL.M. (oec.), DWF Germany Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, daisy.walzel@dwf.law

Bildquelle: colorbox.de

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