Social Franchise braucht mehr Unternehmerpersönlichkeiten!

Im kommerziellen Sektor ist Franchising als Verbreitungsstrategie längst etabliert. Im sozialen Sektor hält das Konzept inzwischen unter dem Namen Social Franchise Einzug. Der Erfolg einiger Social Franchise-Konzepte zeigt, dass dies durchaus in vielen verschiedenen Branchen funktioniert.

Im Interview mit Torben L. Brodersen spricht Janet Thiemann, Geschäftsführerin der ELTERN-AG, die sich um die Schaffung von Chancengleichheit für sozial benachteiligte Kinder kümmert, heute über ihre Erfahrungen mit Social Franchise.

Sie stellt dabei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu herkömmlichen Franchisesystemen heraus und zeigt auf, in welchen Bereichen sich beide Arten des Franchisings annähern können.

Torben L. Brodersen: Was kann der Social Franchise Sektor vom kommerziellen Bereich lernen und umgekehrt?

Janet Thiemann: Der Social Franchise Sektor in Deutschland ist noch jung und kann von den jahrzehntelangen Erfahrungen aus dem kommerziellen Franchise Sektor nur profitieren.
Uns treibt zum Beispiel immer wieder die Frage um, wie man den Spagat zwischen Quantität und Qualität bestmöglich meistern kann. Wir hängen sehr an unserem Programm ELTERN-AG. Wir kennen die Erfolgsfaktoren, wissen was funktioniert und was eben auch nicht. Dennoch wollen wir möglichst viele Familien in Not mit unserem Angebot erreichen. Dafür müssen wir wachsen und brauchen Partner. Da wäre es manchmal sicherlich hilfreich, wenn das Programm weniger komplex und nicht ganz so anspruchsvoll wäre – was aber immer auf Kosten der Qualität und damit der Wirksamkeit ginge. Und hier ist es für uns selbstverständlich sehr spannend, von den Erfahrungen der Profis aus dem kommerziellen Bereich zu lernen.

Außerdem wären wir gern selbstbewusster, wenn es um den Umgang mit dem Begriff und dem Modell Franchise und die finanzielle Abbildung unserer Leistungen geht. Wir sind häufig zu zurückhaltend, uns neben den deutlich sichtbaren Dienstleistungen auch die Idee, Forschung, Entwicklung und Markenpflege bezahlen zu lassen.

Der kommerzielle Franchise Sektor hat sich in meiner Wahrnehmung in den vergangenen Jahren auch stark mit den Themen Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung auseinandergesetzt. Viel ist in diesem Bereich passiert. Dennoch scheint es mir hier Potentiale zu geben, um die Wirksamkeit dieser Bemühungen noch zu steigern. Die Organisationen des Social Franchise Sektors arbeiten entsprechend ihres Unternehmenszwecks intensiv mit und an den aktuellen sozialen, ökologischen und kulturellen Herausforderungen. Dort setzen sich die Experten für wirksame, innovative Lösungsideen, Projekte und Investitionen ein. Hier gibt es mit Sicherheit spannende Schnittstellen für einen guten Erfahrungsaustausch, der im Ergebnis unsere Gesellschaft nachhaltig positiv beeinflussen kann.

Mit den aktuellen Herausforderungen im Personalbereich müssen sich sowohl der kommerzielle als auch der soziale Franchise Sektor befassen. Die begehrten jungen Fachkräfte sind wählerisch geworden, wenn es um ihre zukünftigen Arbeitgeber geht. Häufig werden hier die Fragen nach der Sinnhaftigkeit, der Work-Life-Balance, den Mitgestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gestellt. Hierauf haben viele Sozialunternehmen gute Antworten gefunden, die auf unterschiedliche Organisationen leicht übertragbar sind. Auch hier lohnt sich sicher ein Austausch für beide Seiten.

Torben L. Brodersen: Warum geht es nicht ohne Unternehmergeist, auch im sozialen Bereich?

Janet Thiemann: Unsere Gesellschaft ändert sich rasant, der Bedarf an sozialen Dienstleistungen steigt stetig. Im sozialen Bereich bestimmt jedoch nicht hauptsächlich der Bedarf beim „Endkunden“ die Nachfrage, sondern die Entscheidung für oder gegen ein Angebot fällt der Finanzierer, je nach Fülle der öffentlichen Kassen. Und da diese häufig hoffnungslos leer sind, macht ein Bedarf noch lange keine Nachfrage.

Hinzu kommt, dass das Angebot sozialer Dienstleistungen größer als die Nachfrage ist und sich viele Anbieter auf einem umkämpften Markt bewegen und so ein beachtlicher Wettbewerb geschaffen wird.

Aber gerade in Zeiten großer sozialer und ökologischer Herausforderungen werden die innovativsten, wirksamsten und effizientesten Lösungen gebraucht.

Unternehmergeist, Mut, Effizienz und Innovation gehören für mich zusammen. Mit Unternehmergeist werden gute Ideen vorangebracht und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie sich auf dem Markt durchsetzen und etablieren. Und unsere Gesellschaft braucht heute neue Initiativen, Ideen und Ansätze!

Torben L. Brodersen: Wo sehen Sie hier etwaige Engpässe bzw. Defizite an Know-how etc.?

Janet Thiemann: Eine sehr große Herausforderung ist die Realisierung notwendiger Innovation und Weiterentwicklung der Produkte. Die Erwirtschaftung von Überschüssen ist in unserem Sektor sehr schwierig und findet i.d.R. zu wenig oder gar nicht statt. Damit fehlen die Mittel, um mittels Weiterentwicklung die Qualität des Produktes auf Dauer zu gewährleisten.
In den Führungsetagen des Sozialen Bereichs finden Sie oft Persönlichkeiten, die nicht zwingend über ausgewiesene unternehmerische Kompetenzen verfügen. Soziale Unternehmen werden oft von Fachkräften mit sozialwissenschaftlicher Ausbildung geleitet. Zur Erlangung unternehmerischer Kompetenzen sind berufsbegleitende Weiterbildungen notwendig. Dafür müssen Ressourcen eingesetzt werden, doch diese fehlen zumeist.
Außerdem erleben wir heute noch oft sehr große Berührungsängste mit Unternehmertum im sozialen Bereich. Die Anwendung von betriebswirtschaftlichen Tools und Methoden wird zum Teil sehr kritisch gesehen und führt durchaus auch dazu, dass zum Beispiel unsere Motivation und unser Ziel mit der ELTERN-AG– die Schaffung von Chancengleichheit für sozial benachteiligte Kinder– in Frage gestellt wird. Hier müssen wir stärker an einem positiven Image arbeiten und uns täglich neu beweisen.

Torben L. Brodersen: Wie konnte die ELTERN-AG das so erfolgreich umsetzen?

Janet Thiemann: Bei der ELTERN-AG zählen die gleichen Faktoren, die andere Menschen und Unternehmen auch erfolgreich machen: Viel Engagement, harte Arbeit und ein dickes Fell. Schritte einfach tun, statt stets nur darüber nachzudenken.
Rückschläge, Fehler und Misserfolge kommen dabei regelmäßig vor. Wir verstehen sie als Chance, da wir so angehalten sind, uns stetig weiter zu entwickeln und besser zu werden. Wir zeichnen uns durch eine große Offenheit und Adaptionsfähigkeit neuer Ideen, Anregungen und Methoden -auch aus dem kommerziellen Bereich- aus.
Und manchmal haben wir einfach auch eine kleine Prise Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und die richtigen Menschen zu treffen.

Torben L. Brodersen: Wo sehen Sie den Bereich „soziales Unternehmertum“ in der Zukunft?

Janet Thiemann: Soziales Unternehmertum wird auch zukünftig fester Bestandteil des Sozialen Sektors sein und mit Sicherheit an Bedeutung gewinnen.
Neue Unternehmen werden auf den Markt kommen, andere dafür wieder verschwinden. Qualität und Effizienz werden dabei eine wichtige Rolle spielen und die Konkurrenzfähigkeit deutlich machen.
Realistisch betrachtet werden sich jedoch die wenigsten sozialen Unternehmen zu 100% auf Basis ihres Geschäftsmodells tragen können, da häufig nicht der Endkunde der Finanzierer ihrer Leistungen ist, sondern die öffentliche Kassen. Doch diese werden leider auch durch soziales Unternehmertum nicht besser gefüllt sein. Das heißt für Unternehmen im sozialen Sektor, dass sie neben der Sicherstellung ihrer Dienstleistung, also ihres eigentlichen Kerngeschäfts, die Erschließung weiterer Finanzierungsquellen als wichtigen Bereich ihres Tagesgeschäfts wahrnehmen müssen.

Torben L. Brodersen: Was muss passieren, um die Vorteile für Mensch und Gesellschaft noch stärker herauszustellen?

Janet Thiemann:
Wir müssen weiterhin kontinuierlich daran arbeiten, die Vorurteile, die es gegenüber Unternehmertum und auch Franchise gibt, abzubauen.

Wir müssen stärker Sympathien für unternehmerisches Denken und wirkungs- und effizienzorientiertes Arbeiten schaffen, indem wir nicht nur die Ergebnisse sondern auch die Erfolgskriterien beschreiben und erlebbar machen.

Der kommerzielle und der soziale Sektor sollten eng zusammenarbeiten und die Erfolgsgeschichten der Kooperation offensiv nach außen kommunizieren.

Wir freuen uns darauf!

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Mehr zu Social Franchise erfahren Sie auch in diesem Beitrag von Torben L. Brodersen.

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