aktuelle Rechtsprechung – EuGH hat entschieden: Markenhersteller dürfen den Produktvertrieb über Amazon und ebay verbieten

Mit Entscheidung zum 6. Dezember 2017 (Az. C-230/16) hat sich der EuGH erstmals zur Zulässigkeit sog. Plattformbeschränkungen geäußert. Im Kern geht es darum, ob Hersteller ihren Vertriebspartnern im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems untersagen dürfen, die Vertragsprodukte auf Verkaufsplattformen wie bspw. Amazon oder ebay zu vertreiben. Das Urteil wurde mit Spannung erwartet, denn die Auffassungen zu dieser aus Sicht von Markenherstellern häufig zentralen Frage gingen stark auseinander, auch unter den Kartellbehörden. Das Urteil stärkt im Ergebnis die Rechte der Hersteller.

Ein Gastbeitrag von unserer assoziierten Expertin Dr. Daisy Walzel.

I. Sachverhalt

Parteien des Ausgangsverfahrens sind Coty Germany, ein wichtiger Anbieter von Luxuskosmetik in Deutschland und Parfümerie Akzente, ein von Coty autorisierter Einzelhändler.

Um die luxuriöse Ausstrahlung bestimmter von ihr angebotener Marken zu wahren, vertreibt Coty Germany ihre Produkte im selektiven Vertrieb, also über autorisierte Händler. Zu diesen zählt auch die Parfümerie Akzente. Die stationären Geschäfte der autorisierten Händler müssen eine Reihe von Anforderungen erfüllen. Sie dürfen die Vertragswaren zwar auch im Internet anbieten und verkaufen. Dies gilt jedoch nur, wenn das Internet-Geschäft als “elektronisches Schaufenster” des autorisierten Ladengeschäfts geführt wird und hierbei der Luxuscharakter der Produkte gewahrt bleibt. Außerdem ist es dem autorisierten Händler verboten, für den Verkauf der Vertragswaren im Internet nach außen erkennbar nicht autorisierte Drittunternehmen einzuschalten.

Die Parfümerie Akzente vertreibt seit vielen Jahren die Produkte von Coty Germany sowohl stationär als auch im Internet. Der Internetverkauf erfolgte zum Teil auch über die Plattform “amazon.de”. Da Parfümerie Akzente Änderungen des Vertriebsvertrags nicht zustimmte, erhob Coty Germany vor deutschen Gerichten Klage, um ihr zu untersagen, die Vertragswaren über die Plattform “amazon.de” zu vertreiben. In diesem Zusammenhang fragte das OLG Frankfurt a.M. den EuGH, ob das fragliche Verbot mit dem Wettbewerbsrecht der Union vereinbar ist.

II. Kernaussagen

Der EuGH bestätigt mit seiner Entscheidung in wesentlichen Punkten die Aussagen des Generalanwalts (dazu unter 3.):

Die Organisation eines selektiven Vertriebssystems berührt das Kartellrecht nicht (d.h. fällt nicht unter das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV) und ist somit unbedenklich, sofern bestimmte Kriterien beachtet werden.

  • Zunächst muss (i) die Auswahl der Händler anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden, (ii) die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses müssen zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebsnetz erfordern und (iii) die festgelegten Kriterien dürften nicht über das erforderliche Maß hinausgehen (müssen also verhältnismäßig sein).
  • In Bezug auf den Vertrieb von Luxuswaren betont das Gericht, dass ein selektives Vertriebssystem auch zulässig ist, wenn dieses primär der Sicherstellung des Luxusimages (dem „Prestigecharakter“) der betreffenden Waren dient (sofern die bereits genannten Bedingungen erfüllt werden).
  • In Bezug auf die „Verhältnismäßigkeit“ eines Verbots des Vertriebs über (nach außen erkennbare) Drittplattformen (wie Amazon oder ebay) stellt das Gericht insbesondere folgendes fest: Das Verbot der Nutzung von Drittplattformen trägt nach Auffassung des Gerichts zur Aufrechterhaltung eines Luxusimages bei den Verbrauchern bei, da diese Plattformen eben als Verkaufskanal für „Waren aller Art“ verwendet werden. Entscheidend sei insoweit auch, dass den Händlern der Internetvertrieb nicht gänzlich untersagt werde (anders als in der Entscheidung Pierre Fabre, Rs. C-439/09). Der Vertrieb über eigene Onlineshops bliebe bspw. noch möglich (sofern diese bestimmten Qualitätsanforderungen genügen). Entscheidend sei ferner, dass der Hersteller/Anbieter mangels Vertragsbeziehung mit der Drittplattform (Amazon oder ebay) – anders als von seinen Händlern – von dieser gerade nicht die Einhaltung bestimmter Qualitätsanforderungen verlangen könne. Dies berge die Gefahr der Verschlechterung der Präsentation der Waren im Internet.

Der EuGH betont schließlich, dass die obigen Erwägungen auch tragen würden, wenn man (unmittelbar) auf die Bestimmungen der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (dort Art. 4 lit. b) und lit. c)) zurückgreifen würde.

III. Hintergrund

(a) Generalanwalt

Bereits Generalanwalt Nils Wahl hatte sich im Rahmen seiner Schlussanträge im Juli 2017 zugunsten der Hersteller von Luxuswaren geäußert. Seiner Auffassung nach falle ein solches Verbot, welches die Wahrung der luxuriösen Ausstrahlung der betreffenden Waren bezwecke, unter bestimmten Bedingungen nicht unter das Kartellverbot. Es sei geeignet, den auf qualitativen Kriterien beruhenden Wettbewerb zu verbessern.

(b) Kommission

Dies fügt sich in eine generelle Tendenz ein: Auch die Kommission hat in der Sektoruntersuchung zum E-Commerce angedeutet, dass sie Plattformverbote in bestimmten Fällen für durchaus zulässig hält. Diese Sichtweise kommt freilich auch schon in ihren Vertikal-Leitlinien aus dem Jahre 2011 zum Ausdruck (dort in Rz. 54).

(c) Gerichte

Deutsche Gerichte waren in der hier behandelten Frage stark unterschiedlicher Auffassung, und zwar sowohl in der dogmatischen Begründung als auch bezüglich des Ergebnisses. Das Urteil dürfte insoweit Klarheit gebracht haben. Ein niederländisches Gericht hat im Oktober dieses Jahres (unter Verweis auf die Aussagen des GA Wahl, s.o.) einer Klage von Nike gegen einen italienischen Händler, welcher die Vertragswaren (vertragswidrig) auf Amazon angeboten hatte, recht gegeben.

(d) Bundeskartellamt

Das BKartA stand Plattformverboten stets skeptisch gegenüber. Hintergrund ist die stark auf den Schutz des markeninternen Wettbewerbs ausgerichtete Sichtweise der Bonner Behörde: Für sie steht insbesondere auch der Schutz von Hybrid-Händlern (die zur kommerziellen Abrundung ihrer stationären Aktivitäten auf den Internetvertrieb angewiesen sind) im Vordergrund.

IV. Offen Fragen

Offen bleibt freilich unter welchen Gesichtspunkten die Aufsetzung eines selektiven Vertriebssystems (noch) zulässig sein kann. Der Umstand, dass auch die Wahrung des Prestigecharakters einer Ware ausreichen kann, spricht für eine weite Sichtweise, was aus Herstellersicht zu begrüßen ist.

Das Urteil befasst sich insgesamt freilich nur mit einem kleinen Ausschnitt der sich derzeit im Rahmen des Online-Handels stellenden kartellrechtlichen Fragen. Hierzu zählt bspw. auch, ob die Unterbindung von Produktplatzierungen auf Preisvergleichsseiten zulässig ist.

Spannend wird auch sein, welche Folgen das Urteil für die deutlich größere Anzahl offener Vertriebssysteme hat. Wird man hier auch weiterhin generell sagen müssen, dass Plattformverbote (und vergleichbare Beschränkungen) unzulässig sind? Die Frage ist keineswegs banal. Denn auch hier steht letztlich die Interpretation des Art. 4 lit. b) und lit. c) Vertikal-GVO im Vordergrund, also dieselben Vorschriften, die auch Gegenstand der Auslegung des Urteils war. Das Gericht betont insoweit, dass die von ihm getroffenen Aussagen eng auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens (= Vorhandensein eines selektiven Vertriebssystems) zugeschnitten sind.

V. To Do’s?

  • Markenhersteller, die ihre Waren bislang „offen“ (d.h. schlicht an alle Gewerbetreibenden) vertrieben haben, haben nun einen weiteren starken Anreiz ihren Produktvertrieb ggf. auf ein selektives Vertriebssystem umzustellen. Denn im Punkto Onlinehandel haben Sie deutlich weit(er) gehende Beschränkungsmöglichkeiten als bei offenen Vertriebssystemen. Zwar kann auch bei einem selektiven Vertriebssystem auf die Preisgestaltung der Händler kein Einfluss ausgeübt werden. (Auch im Rahmen selektiver Vertriebssysteme ist die Preisbindung der zweiten Hand freilich verboten!) Der Umstand, dass (i) die Händler im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems aber bestimmte Anforderungen erfüllen müssen und (ii) zudem die Waren nicht an beliebige Dritte weiterveräußern dürfen sowie (iii) die Tatsache, dass der Hersteller nunmehr auch den Vertrieb über Online-Plattformen grds. beschränken darf, sprechen durchaus für die Wahl eines solchen Systems. Hierbei kann auch über die nur teilweise Einsetzung eines selektiven Vertriebssystems (bspw. nur für bestimmte Produkte oder Produktgruppen) nachgedacht werden.
  • Beschränken Sie als Hersteller bereits jetzt den Plattformvertrieb ihrer Händler, dürfen Sie (weitgehend) aufatmen: Abstellungsverfügungen (oder gar Bußgelder) aufgrund schon bestehender (vermeintlich) zu weitgehender Beschränkungen dürften jedenfalls im Rahmen selektiver Vertriebssysteme künftig (endgültig) ausscheiden. Zu prüfen wäre nun, ob die gewählten Beschränkungen den vom EuGH formulierten Anforderungen umfassend genügen.

 

 

 

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