Die überarbeitete EU-Richtlinie über Europäische Betriebsräte steht kurz vor der endgültigen Verabschiedung. Ende Mai wurde sich in den Trilogverhandlungen auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt. Die formelle Abstimmung im Europäischen Parlament gilt als reine Formsache. Nach der Verabschiedung haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit zur Umsetzung in nationales Recht. Ziel der Neuregelung ist es, die Mitwirkungsrechte von Arbeitnehmern in großen, grenzüberschreitend tätigen Unternehmen zu stärken – insbesondere durch verbindlichere Konsultationsrechte, eine klarere Definition länderübergreifender Angelegenheiten und verbesserten Rechtsschutz für Europäische Betriebsräte.
Franchisesysteme erstmals im Erwägungsgrund erwähnt
Im Zuge der Reform ist auch das Geschäftsmodell Franchise in die Diskussion geraten. Ein neu aufgenommener Erwägungsgrund im Richtlinientext stellt klar, dass auch Unternehmensstrukturen auf Basis von Franchiseverträgen grundsätzlich unter die Definition einer „gemeinschaftsweit tätigen Unternehmensgruppe“ fallen können – allerdings nur, wenn ein beherrschender Einfluss („dominant influence“) des Franchisegebers auf die Franchisenehmer besteht. Daraus ergibt sich die Frage, ob und in welchen Fällen ein Franchisesystem künftig verpflichtet sein könnte, einen Europäischen Betriebsrat einzurichten.
Franchiseverband erreicht politischen Erfolg
Der Deutsche Franchiseverband hat sich im vergangenen Jahr intensiv dafür eingesetzt, dass das Geschäftsmodell Franchising nicht in den eigentlichen, rechtsverbindlichen Teil der Richtlinie aufgenommen wird. Dieses Ziel wurde erreicht: Die Franchisebeziehung wird ausschließlich im Erwägungsgrund erwähnt – nicht im eigentlichen Richtlinientext. Das ist ein wichtiges politisches Signal und kann als Erfolg gewertet werden.
Franchisesysteme passen nicht in das Konzept der Unternehmensgruppe
Die Richtlinie gilt für zwei Kategorien: für einzelne Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten in der EU sowie mindestens 150 Beschäftigten in jeweils zwei Mitgliedstaaten – oder für sogenannte „gemeinschaftsweit tätige Unternehmensgruppen“, bei denen mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen durch einen beherrschenden Einfluss verbunden sind und gemeinsam die genannten Schwellenwerte überschreiten. Genau hier liegt der entscheidende Punkt: Ein typisches Franchisesystem ist keine Unternehmensgruppe im klassischen Konzernverständnis. Franchisenehmer sind selbstständige Unternehmer mit eigenem Personal und rechtlicher Eigenständigkeit. Diese dezentrale Struktur führt regelmäßig dazu, dass die Beschäftigtenzahl des Systems insgesamt nicht „greifbar“ im Sinne der Richtlinie ist – denn Franchisenehmer und ihre Mitarbeiter gelten nicht als Teil des Franchisegebers.
Kein beherrschender Einfluss durch Standardisierung
Noch wichtiger ist jedoch die rechtliche Beziehung zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer. Die Richtlinie setzt für eine Anwendung auf Unternehmensgruppen einen beherrschenden Einfluss voraus. Dieser kann sich aus Eigentum, finanzieller Beteiligung oder vertraglichen Steuerungsmechanismen ergeben. Franchiseverträge enthalten zwar oft standardisierte Vorgaben – etwa zur Nutzung bestimmter IT-Systeme, zur Markenführung oder zur Qualitätssicherung. Solche Elemente sind jedoch charakteristisch für Franchisesysteme und reichen nicht aus, um im juristischen Sinn einen beherrschenden Einfluss zu begründen. Erst wenn ein Franchisevertrag so weitreichend ist, dass der Franchisenehmer praktisch keine unternehmerische Eigenständigkeit mehr besitzt, könnte eine Abhängigkeit im Sinne der Richtlinie vorliegen.
Maßstab der Selbstständigkeit schützt vor Einordnung als Unternehmensgruppe
In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick nach Deutschland. Hier werden ähnliche Fragen im Rahmen der Scheinselbstständigkeitsprüfung behandelt. Dabei wird untersucht, ob eine vermeintlich selbstständige Tätigkeit in Wahrheit die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erfüllt. Die Kriterien sind klar: Wer eigenes wirtschaftliches Risiko trägt, über eigene Betriebsräume verfügt, Arbeitszeit und Personal eigenverantwortlich steuert, gilt als selbstständig. Diese Maßstäbe lassen sich auch auf Franchiseverhältnisse übertragen. Solange der Franchisenehmer als eigenständiger Unternehmer auftritt, liegt kein beherrschender Einfluss vor – und das Franchisesystem kann nicht als Unternehmensgruppe im Sinne der Richtlinie eingeordnet werden.
Erwägungsgrund ohne rechtliche Wirkung – Einzelfallprüfung bleibt entscheidend
Erwägungsgründe in EU-Richtlinien haben keine unmittelbare rechtliche Wirkung. Sie können bei der Auslegung des verbindlichen Richtlinientexts eine Rolle spielen, ersetzen aber nicht die rechtliche Einzelfallprüfung. Dass Franchisesysteme im Erwägungsgrund erwähnt werden, bedeutet also nicht, dass sie automatisch unter die neue Richtlinie fallen. Vielmehr bleibt es bei der bisherigen Rechtslage: Nur wenn tatsächlich ein beherrschender Einfluss festgestellt wird und die entsprechenden Beschäftigtenschwellen erreicht sind, könnte eine Pflicht zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats bestehen.
Fazit: Keine unmittelbaren Folgen für Franchisesysteme in Deutschland
Für Franchisegeber in Deutschland ergibt sich daraus: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Franchisesystem unter die Neuregelung fällt, ist äußerst gering. In der Regel sind die Voraussetzungen – sowohl im Hinblick auf die Beschäftigtenzahlen als auch auf die vertragliche Struktur – nicht erfüllt. Sollte sich im weiteren Gesetzgebungsverlauf oder in der Umsetzungspraxis in Deutschland eine relevante Entwicklung ergeben, informieren wir selbstverständlich zeitnah.